Weihnachtsliebe

Nachdem wir uns in der letzten Woche recht besonnen haben, widmen wir uns heute dem zweiten Teil von Weihnachten, der Liebe.

Mit der Liebe generell und im Speziellen ist es ja so eine Sache, darüber brauche ich nicht noch mehr Lieder, Filme, Romane und Kitschworte zu verlieren. Ohne Liebe lässt es sich nicht wirklich leben, ein jedes Wesen will umsorgt und bekümmert sein. Diese Kümmerei hat in diesen Wochen ihren alljährlichen Zenit. Da wird sich noch liebevoller als sonst auf den Füßen herumgetrampelt, Türen vor die Köpfe geschlagen, die Vorfahrt geschnitten, von links überholt und gnadenlos gerammt. Oder es wird einfach mitten ineinander hineingerannt, da die Gegenverkehrsapp auf dem Handy wegen Netzüberlastung versagt, die Zustandsapp aber nach wie vor breit auf dem Display anzeigt: Sie haben Recht, Ihr Gegenüber ist ein Volltrottel, ignorieren Sie Ihn!

In meiner persönlichen Statistik gab es in den letzten Wochen vermehrt Ausschläge die Liebe betreffend. Die Zahl der Trennungen stieg um 50%, weitere 25% stehen in Aussicht. Vermutlich werden die Beteiligten bis Heiligabend den Schein in der Kältestarre aufrecht erhalten können. Spätestens mit Ankunft der Heiligen Drei Könige werden auch diese Beziehungen zerbrechen. Erfreulicherweise hat die Zahl der Wohnungsbrände stark abgenommen. Mit Sicherheit liegt das an der Verordnung von ausschließlich elektrischen Kerzen in Altenheimen und Geriatriestationen. Was meinen Sie, was das für eine erfrischende Abwechslung für die Demenzgruppe ist, wenn alle gemeinsam versuchen, die LED-Kerzen am Adventskranz auszupusten! Die Zahl der laut in die Nacht oder den grauen Nebel des Tages gebrüllten „Ich hasse dich!“ bzw. „Du gehst mir sowas von auf den Sack!“ bzw. „Lass mich IN RUHE DU ARSCHLOCH!“ u.ä. erreichte Spitzen, die sie sonst nur im Hochsommer bei anhaltender Hitze hat. Rettungskräfte schwärmten und schwärmen vermehrt aus, um Streitigkeiten zu schlichten, Herzinfarkte wiederzubeleben und Suizidgefährdete aufzuklären, dass es wenig Sinn macht, sich von der Bordsteinkante neben dem Glühweinstand zu Tode stürzen zu wollen.

Meine lieben Leser, wir befinden uns nach wie vor im Kriegszustand. Die geführten Kämpfe sind weniger enthusiastisch, als noch in der letzten Woche, dafür sind sie schneller auf Blut stoßend. Die Damen und Herren in den Weihnachtsmarktbuden tragen das Makeup dick im Gesicht, damit die Mundwinkel oben bleiben, wenn sie zum vierten Male dem unerzogenen Kind in aller Liebe sagen, dass es bitte seine Drecksfinger von den Holzschnitzereien zu lassen hat. Der Kindsvater wertet dies als tätlichen Angriff und zieht seinerseits ein Klappmesser, um in den rauchenden Schneemann das Haus vom Nikolaus zu ritzen, was wiederum den Budenbetreiber dazu anregt, seinen eisernen Feuerlöscher zu zücken und ihn dem Vater über den Schädel zu ziehen, nicht ohne vorher die Drecksfinger des unerzogenen Kindes gestreift zu haben, aber alles bitteschön immer mit einem Lächeln. Schließlich haben wir Weihnachten – das Fest der Liebe!

Und zu guter Letzt gibt es pünktlich zum Marktschluss auf dem Vorplatz des örtlichen Kaufhauses eine Schlägerei unter Panschglühweintrinkern, um die sich sofort ein großer Ring von Schaulustigen bildet. Dicke Teenager mit Plastiktüten von Billigbekleidungsläden flitzen erstaunlich schnell zum Ort des Geschehens, Handys werden gezückt und über Whatsapp verbreitet sich rasant, dass da was los ist – wo – geil.  Der eine Schläger geht in Profiboxstellung und tänzelt durch den Ring, der andere schreit Unverständliches und es hagelt Hiebe über Hiebe. Der dazwischen gehende Glühweinverkäufer zieht sich schleunigst mit einer geschwollenen Nase zurück, Blut spritzt auf die Pflastersteine und vermischt sich mit dem Regenwasser und der Mob drum herum bewegt sich träge, wie Ringseile, gegen die ein Kämpfer prallt.

Ein Mann neben mir hat sofort die Polizei gerufen, allein es blieb die Frage, die bis heute bitter auf der Zunge schmeckt: Wenn der eine Kämpfer ein Messer zieht, dann ist der andere unter Umständen blitzschnell abgeschlachtet und das unter den Augen von unzähligen Zivilbeobachtern und Zuschauern im Internet. Und das aktive Mitglied der Gemeinschaft, wie der Glühweinverkäufer, der Nächstenliebe in Form von Kümmerei praktiziert, steht komplett hilflos daneben.

Was hätten Sie getan?
Mit herzlichen Grüßen
Ihre Frau Körb