Eastish

In der momentanen Erkältungszeit tut dem Körper nichts besser, als eine heiße Zitrone. Für die Zubereitung einer solchen zückte ich also meine Zitronenpresse. Eine betörend duftende Bergamotte aus Marokko verbreitete ihr sonniges Leuchten auf meinem Küchenbrett. Automatisch hielt ich inne, schloss meine Augen und befand mich sofort irgendwo im Süden. Plötzlich räusperte sich jemand in meiner Küche. Das große Gemüsemesser in der Hand haltend, schaute ich mich um. Da war niemand. Nun, vermutlich hatte sich Herr Mijago an seiner derzeitigen Arroganz verschluckt.

Er befindet nämlich, dass es sich für einen Bonsai seiner Klasse nicht gehört, in Räumlichkeiten, wie den meinen gehalten zu werden. Seit einigen Wochen besteht er auf den Anbau einer beheizbaren Orangerie und meint, mich mit Schweigen strafen zu können. Immer wieder erkläre ich ihm freundlich, dass es für einen Bonsai seiner Klasse nicht förderlich ist, sich mit dem hauseigenen Gießkannenverwalter anzulegen. Dies quittiert er aber immer nur mit dem Abwurf einiger welker Blätter.

In meiner Küche nun war niemand außer mir. Ich wand mich wieder dieser wunderbaren marokkanischen Zitrusfrucht zu. Eine Hälfte legte ich auf die Zitronenpresse, da hörte ich ein leises Fiepen. Sollte mir die Nachbarskatze eine Maus ins Haus geschleppt haben? Ich lauschte. „I i a ok!“, piepste es. Es war nah. Saß das Viech hinter meiner Arbeitsplatte? „I i a ok da fok wi si da fok!“ Es kam von meiner Arbeitsplatte. Ich beugte mich über die halben Marokkaner und Sie werden es nicht glauben, aber es war meine Zitronenpresse, die skandierte: „Wir sind das Volk das Volk wir sind das Volk!“

Verblüfft hob ich das rosa-weiße Plastikgerät. Es verschränkte seine Riffelungen und schrie mich bockig an: „Das Volk sind wir!“ Bei genauerem Hinsehen erkannte ich am Boden eine Prägung. ‚MADE IN GDR’ stand da. „So so.“, sagte ich, „der Osten hat also seinen Rassismus in Haushaltsgeräten versteckt.“ Ich fragte die Presse: „Und meine Verehrteste, wie stellen Sie sich unsere weitere Zusammenarbeit nun vor?“ „Dieses Ausländergesocks kommt mir nicht auf die Spitze! Wagen Sie es und ich rufe die Polizei!“ Ich brach in schallendes Gelächter aus, stellte das aufgeblasene Gerät auf die Arbeitsplatte und begann, den halben Marokkaner mit sanften Drehbewegungen zu entsaften. Es krachte kurz im ostdeutschen Hartplastik, dann ertönte plötzlich leiser Gesang: „Wie schäll owerkahahamm“.

Wie ich später aus meinem Kräuterkundebuch erfahren habe, wirkt Bergamotte angstlösend, antiseptisch, antiviral, beruhigend, entspannend und krampflösend. Also meine lieben Leser, wenn Sie sich in den Osten des Landes begeben, ist es förderlich, Bergamotten im Gepäck zu haben. Besonders in ländlichen Gegenden treibt der deutschnationale Geist sein Unwesen. Waschen Sie einer davon befallenen Person mit dem frischen Saft einer Bergamotte gründlich die Augen aus und sprechen Sie folgende Worte: „Freie Sicht für freie Bürger!“. Es empfiehlt sich gerade generell bei einem Aufenthalt in Mittelerde ein Fläschchen 4711 bei sich zu tragen. Vor seinem zitruslastigen Geruch ist noch jeder Untote davongelaufen.

Mit sozialistischem Gruß
Ihre Frau Körb